Organisationales und individuelles Coaching, Biografiearbeit und Organisationsentwicklung


Organisationales Coaching -  Ein Praxisbeispiel aus einem Handelsunternehmen

Coaching wurde hier als eine spezifische Form von Beratung verstanden. Entsprechend den Anlässen wurde unterschieden in Fachcoaching und Prozesscoaching. 

Fachcoaching war in all den Fällen relevant, in denen es um spezifisches Faktenwissen und seine Anwendung ging. Dies war insbesondere bei den im Unternehmen verwendeten betriebswirtschaftlichen Instrumenten der Fall. Hier ging es zum einen darum, die zur Verfügung stehenden Instrumente zu identifizieren und deren konkrete Bedeutung für die eigene Praxis zu erfassen. 

Im weiteren Verlauf zielte das Fachcoaching darauf ab, ein besonderes Verständnis für die Relevanz einer datengestützten Betrachtung betriebswirtschaftlicher Sachverhalte zu entwickeln. Auch wurden hier die Fähigkeiten vermittelt und eingeübt, die für eine professionelle Handhabung dieser Instrumente unabdingbar sind. Es konnten hier individuelle Wissenslücken geschlossen und Defizite bei der zielführenden Anwendung reduziert werden. 

 

Das Prozesscoaching spielte zu Beginn des Prozesses eine sehr wesentliche Rolle. Am Anfang musste es vor allem darum gehen, eine neue Sichtweise für das zu entwickeln, was gegenwärtig im Unternehmen und im Markt der Fall ist und was daraus abgeleitet werden kann. Dazu war es notwendig, zunächst einmal alles in Frage zu stellen, was den Aufbau der Organisation und die Abläufe im Unternehmen kennzeichneten. Hier wurden die grundlegenden Muster, Ziele und Werte aus allen relevanten Blickwinkeln befragt, damit neue Wege für eine erfolgreiche Zukunft gefunden werden konnten. Die Sichtweisen der Kunden, der Lieferanten und der Mitarbeiter boten oft die Schlüssel für erfolgreiche Veränderungen. 

Ein wichtiger Durchbruch war meistens aber erst dann geschafft, wenn die Führungskräfte aufhörten, auf alles eine Antwort zu wissen und anfingen Einzelheiten zu hinterfragen und in Szenarien zu denken. 

Anforderungen an die externen Coaches 

Alle im Projekt eingesetzten externen Coaches verfügten über ein sozialwissenschaftliches oder wirtschaftswissenschaftliches Studium, psychologische und/oder therapeutische Zusatzausbildungen und hatten ausreichend eigene Betriebs- und Führungserfahrung. Besonders hilfreich war die umfangreiche Branchenkenntnis und die Erfahrung aus zahlreichen vergleichbaren Projekten in Unternehmen derselben Branche. 

Ausbildung von internen Coaches und deren Aufgaben 

Wichtiger Bestandteil des gesamten Projektes war die Coachingausbildung für die Standortleiter. 

Service- und Kundenorientierung sind mittlerweile ein feste Größe in der Händlerrhetorik. Auch werden in vielen Unternehmen bereits Programme zur Steigerung der Kundenzufriedenheit aufgelegt. Reduzieren sich jedoch diese Maßnahmen lediglich auf Formulierungen wie „kundenorientierte Verhaltensregeln“, versandet der Veränderungsprozess oft kurz nach dem Start. Das gesamte System fällt dann in das gewohnte Verhaltensrepertoire zurück. 

Um nachhaltige Änderungen des professionellen Mitarbeiterverhaltens hin zu mehr Kundenorientierung zu erreichen, sollten die Führungskräfte lernen, ihre Mitarbeiter im Arbeitsprozess zu begleiten, um individuelle Qualifizierungs- und Entwicklungsprozesse des einzelnen Mitarbeiters zu ermöglichen. 

Das Ausbildungskonzept 

Coaching von Mitarbeitern am POS sollte als ein individuelles Training-on-the-job verstanden werden, das nachhaltige Verbesserungen der sozialen und fachlichen Kompetenz des gecoachten Mitarbeiters zum Ziel hat. 

Das Arbeitsfeld des Mitarbeiters wird dabei als Lernfeld genutzt. Konkret vereinbarte Verbesserungen können hier direkt umgesetzt und individuelle Umsetzungsstrategien ausprobiert werden. Eine mögliche Form des Coachings kann darin bestehen, den Mitarbeiter bei der praktischen Umsetzung der vereinbarten Ziele im Arbeitsprozess zu begleiten, die ein- zelnen Schritte gemeinsam zu reflektieren und weitere Aufgaben zu vereinbaren.  

Coaching am POS ist in diesem Kontext eine bewusst gestaltete, individuelle Förderung des Mitarbeiters in seinem professionellen Rollenverhalten als Verkäufer durch einen externen Coach oder durch die Führungskraft als Coach. 

Damit wird Coaching am POS bewusst von allgemeineren Coachingdefinitionen, die oft auch lebensberatende Konzepte beinhalten, abgegrenzt. Coaching wird hier als ein individueller Entwicklungsprozess im Sinne eines Noch-Besser-Prozesses definiert. Es bezieht sich in unserem Fall aber auch auf die Einstellungen, Glaubenssätze und das Verhalten des Mitarbeiters am Arbeitsplatz. Dabei steht die Entwicklung des Mitarbeiters hin zu mehr Eigeninitiative und Selbstverantwortung bei Erfolgen, Misserfolgen sowie bei der persönlichen Zielsetzung und Zielerreichung im Vordergrund. Die Rolle der Füh- rungskraft als Coach ist die des Auslösers und Begleiters von gewollten Entwicklungen. Dabei bleibt die Verantwortung für die Bereitschaft zur Veränderung und die Veränderung selbst jedoch beim Mitarbeiter. 

Die Rollenanforderungen an einen Coach sind die eines „Entwicklungsbegleiters“. Eine weitgehend neutrale und vorurteilsfreie Haltung dem Mitarbeiter gegenüber, ermöglicht eine erfolgreiche Förderung und Befähigung dieser, im Rahmen der Unternehmensziele und ihrer persönlichen Ziele. 

Folgende Aufgaben kennzeichnen in jeweils unterschiedlicher Ausprägung die Rollenanforderungen an einen internen Coach: 

  • Entwicklungsprozesse auslösen 
  • Mitarbeiter fördern, fordern und befähigen 
  • Ermutigen 
  • Anleiten und beraten 
  • Moderieren 
  • Koordinieren 
  • Entwicklungsprozesse steuern (Controlling) 

Engpass- und Wachstumsorientierung im Coaching 

Justus von Liebig sagte einmal: Wenn eine Pflanze vier Rohstoffe zum Wachsen brauche und ein Rohstoff fehle bzw. nicht in ausreichendem Maße vorhanden sei, so nütze es nichts, von den anderen drei Rohstoffen etwas hinzuzufügen. Nur der Rohstoff, der den Engpass bilde, sei der, der auch das Wachstum in Gang setze. 

Übertragen auf das Coaching bedeutet das, sich mit dem Mitarbeiter auf die Ermittlung dieses strategisch wichtigen Enpasses zu konzentrieren, der im Moment ein Wachstum in puncto Verbesserung der Arbeitsergebnisse verhindert. Dadurch kann ein zielgerichteter Entwicklungsprozess in Gang gesetzt und gemeinsam zu Ende gebracht werden. 


Insbesondere wurden zwei Dimensionen in den Blick genommen:

1. Aufgabenreife
2. Psychologische Reife 

 

Für die Ermittlung der Aufgabenreife können folgende 

Fragen relevant sein: 

  • Welche Berufserfahrung hat der Mitarbeiter bereits gesammelt? 
  • Welches Fachwissen hat der Mitarbeiter? Welches fehlt? 
  • Inwieweit beherrscht der Mitarbeiter seine Aufgabe? 
  • Welches Arbeitsverständnis hat der Mitarbeiter? 
  • Wie weit ist seine Fähigkeit entwickelt, Probleme selbständig zu analysieren und lösen zu können? 
  • Wie zuverlässig ist der Mitarbeiter? 
  • Wie genau arbeitet der Mitarbeiter in Bezug auf die Arbeitsergebnisse? 


Im Rahmen der psychologischen Reifekönnen folgende Fragestellungen von besonderer 

Bedeutung sein: 

  • Inwieweit übernimmt der Mitarbeiter gerne Verantwortung?
  • Wie sieht es mit seiner Leistungsbereitschaft aus? 
  • Inwieweit identifiziert sich der Mitarbeiter mit seiner Aufgabe, seiner Rolle, den Unternehmenszielen? 
  • Zeigt der Mitarbeiter Eigeninitiative? 
  • Wie verbunden fühlt sich der Mitarbeiter mit seinen Kolleginnen und Kollegen? 
  • Wie geht er mit Problemen um? 
  • Welches Selbstverständnis zeigt der Mitarbeiter?

Entwicklungsplan als Coachinginstrument 

Gemeinsam mit dem Mitarbeiter wird der individuelle Entwicklungsplan erarbeitet. Folgende Fragen dienen der Konkretisierung: 

  • Was genau ist das Entwicklungsziel? (Positiv formuliert, und erreichbar) 
  • Woran werden wir erkennen, dass wir das Ziel erreicht haben? 
  • Wie genau erreichen wir das Ziel? 
  • Wann treffen wir uns, um über Fortschritte zu sprechen? 
  • Wer macht was bis wann

 

Das Verkäufercoaching am POS 

Während des Coachingprozesses ist es sinnvoll, den Coachee in seinem Arbeitsumfeld zu begleiten und gemeinsam mit ihm das Erlebte zu reflektieren und ihm Feed-back über sein jeweiliges Arbeitsverhalten zu geben. Voraussetzungen für ein erfolgreiches Coaching: 

  • Ziel, Ort und Zeitraum der Zusammenarbeit ist beiden, Coach und Coachee, klar. 
  • Der Coachee weiß, wann und in welcher Form er Feedback erhält. 
  • Der Coachingprozess ist nicht öffentlich und alle Informationen werden vertraulich behandelt. 
  • Der Coach greift nicht in Verkaufsgespräche ein. Muss er antworten, weil er vom Kunden angesprochen wird, ist er ab diesem Zeitpunkt für den Kunden mitverantwortlich. Der Coach begründet seine Interventionen nachträglich. 
  • Das Feedback-Gespräch bleibt in jedem Fall vertraulich. 
  • Die Beziehung zwischen Coach und Coachee ist unbelastet. Es gibt keine „unfinished businesses“, alte Konflikte sind zur beiderseitigen Zufriedenheit geklärt. 
  • Der Coach geht von den positiven Absichten des Coachees aus und glaubt an dessen Fähigkeiten, seine Einstellungen und sein Verhalten zu verändern. 

 

Die RAFAEL-Methode 

Beim Coaching am POS bringt die RAFAEL-Methode (Hauser, 1991) Struktur in das Coaching- und Feedback-Gespräch. Besonders in der Anfangsphase gibt ein strukturiertes Vorgehen allen Beteiligten die nötige Sicherheit, sich auf das Coaching einzustellen. 

RAFAEL ist hierbei die Abkürzung für: 

REPORT
ALTERNATIVE
FEED-BACK 

AUSTAUSCH ERARBEITEN von 

LÖSUNGSSCHRITTEN 

Report: „Wie haben Sie sich im Verkaufsgespräch erlebt?“ 

Durch diese Frage erkundet der Coachee seine Wahrnehmung und Beurteilung der Situation und sein eigenes Verhalten. Für den Mitarbeiter ist dies Anregung und Gelegenheit, das eigene Rollenverhalten bewusst und gezielt zu reflektieren. 

Alternative: „Was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?“ 

Der Mitarbeiter wird durch diese Frage ermutigt, nach Verhaltensalternativen zu suchen, die ihn seinem Ziel näher bringen. Durch aktives Zuhören unterstützt der Coach den Mitarbeiter bei seinen Überlegungen. Bei weiteren Coachingsituationen bietet sich beispielsweise die Frage an „Welche Fortschritte in Bezug auf Ihr Ziel haben Sie bereits gemacht?“ 

Feedback: „So habe ich Sie erlebt?“ 

Erst an dieser Stelle gibt der Coach ein Feed-back. Er achtet darauf, dass die Rückmeldungen beim Mitarbeiter so ankommen, wie sie gemeint sind. Er unterstützt und würdigt positive Ansätze, indem er sie exakt beschreibt und verstärkt. Der Coach traut sich, negative Punkte anzusprechen. Entscheidend dabei ist, lediglich die Phänomene zu beschreiben und alle Wertungen konsequent wegzulassen. Das Feedback bezieht sich nur auf konkrete, aktuelle und selbst wahrgenommene Situationen. Bei negativen Punkten reicht es, sich auf einige wenige Aspekte zu konzentrieren. Durch das Feedback erhält der Mitarbeiter einen guten Eindruck über die Wirkung, die er mit seinem Verhalten auf andere Menschen ausübt und kann somit seine Selbstwahrnehmung erweitern. 

Austausch: „Was sehen wir unterschiedlich? Was sehen wir gleich?“ 

Hier ist es die Aufgabe des Coaches, mögliche Unterschiede zwischen der Selbstwahrnehmung des Mitarbeiters und der Fremdwahrnehmung anzusprechen. 

Gemeinsam können hier die Gründe für diese Abweichungen analysiert werden. Jedem Verhalten liegt in der Regel eine positive Absicht zugrunde. Die Absicht ist positiv, wenngleich das Ergebnis einer Handlung oder eines Verhaltens nicht immer befriedigt. Eine hilfreiche Fragestellung könnte so gesehen lauten: „Was möchten Sie für sich oder das Unternehmen mit Ihrem Verhalten sicherstellen?“ Es zeigt sich oftmals, dass der Mitarbeiter zwar eine positive Absicht für sich oder das Unternehmen verfolgt, aber einen falschen Weg für die Realisierung wählt. Wenn sich der Mitarbeiter beispielsweise zu wenig um den Kunden kümmert, muss das kein Desinteresse bedeuten. Vielleicht ist es ihm in diesem Moment wichtiger, die Lücken im Sortiment zu erfassen, weil er glaubt, seinem Chef damit einen Gefallen zu tun. In diesem Schritt kann es dem Coach gut gelingen, bestehende Routinen zu hinterfragen oder neue und andere Sichtweisen zu besprechen. Auch andere Wahrnehmungspositionen einzunehmen kann bedeuten, dass dem Mitarbeiter klarer wird, welches Verhalten für den Kunden, den Kollegen, den Vorgesetzten oder den Lieferanten zu welchen Konsequenzen führt. 

Erarbeitung von Lösungsschritten: „Was ist als nächstes zu tun?“ 

Der längste Marsch beginnt mit dem ersten Schritt! Der nächste realisierbare Schritt bringt den Mitarbeiter seinem Ziel näher. Albert Einstein soll auf die Frage, wie er erfolgreich arbeite gesagt haben: „Ich irre mich voran!“ 

Es ist hier von besonderer Bedeutung, dass der Mitarbeiter erkennt, dass es um die Entwicklung seiner individuellen Möglichkeiten und Potenziale geht. 

Die jeweils nächste Aufgabe kann nur aus einem inneren Verarbeitungsprozess heraus gefunden werden. Kann der Mitarbeiter das Feed-back des Coaches und der Umwelt annehmen, so wird er sich innerlich zunächst Klarheit darüber verschaffen. Daraufhin wird er diese Informationen innerlich verarbeiten und das, was für ihn eine Bedeutung hat integrieren – das, was für ihn keine Bedeutung hat, wird er vermutlich einfach vergessen. Im nächsten Schritt können dann Willenskräfte im Mitarbeiter auftauchen, die eine Entscheidung für einen nächsten Entwicklungsschritt ermöglichen. 

Dieses „ich will“ des Mitarbeiters nennen wir dann Motivation. 

Die Aufgabe des Coaches ist, diesen inneren Verarbeitungsprozess zu initiieren und dort, wo es möglich ist, auch mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.